schluesselworte

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abgelegt und fortgegangen (c) Dieter Vandory
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Freitag, 17. Mai 2013

Hermannstädter Notizen



Die Elektrische fuhr damals die Heltauer Gasse entlang. Das heißt vom Friedhof hin zum Bahnhof ging es mitten durch das Herz der Stadt. Vorbei am Floasch mit seinem Sodawasser, vorbei am Haus von Iduka, wo selbst das unmöglichste Kleid über Nacht verzaubert ward und dann wie angegossen passte, vorbei an Juwelier und Galerie, Konditorei und Kloster, in dem die Großmutter einst Schulkind war.
   
Seltsam verknüpft war so die Abfahrt mit der Ankunft, verbunden miteinander Ewigkeit und Augenblick und keiner wird wohl je darüber nachgesonnen haben. Am allerwenigsten das Kind, das noch den linksseitigen Schmerz nicht kennt und glaubt, dass Tod nichts anderes ist als nur ein langer Schlaf.


Es ist wieder Sommer. Einer, wie es ihn nie mehr geben wird. Die Luft vibriert zwischen den Drähten. Durchsetzt von Tubenrosenduft und Linden gleißt das Licht die Augen wund. Und aus marodem Asphalt atmen die Jahrhunderte, tief und schwer, wie die Schürzen alter Frauen am Kleinen Markt, die hier den Sommer ihrer Gärten für wenig Geld verkaufen.

Mit einem Sträußchen Löwenmaul, Vergissmeinnicht und Phlox und dem gefüllten Korb von Tante Erna geht es auf die Promenade, wo das Kind noch schaukeln darf. Himmel und Erde nur einen Schwung entfernt und manchmal kaum zu trennen. Und hängen bleibt ein Lachen, so hell wie die erwachten Blätter der schwarzknorrigen Bäume.

Doch niemals war die Freude heller als im Gebimmel der Elektrischen, das rot durch diese Gasse flog. Wenn dieser kleine Schritt die Treppen hoch ein Innen offenbarte, das scheinbar unbeteiligt am Äußeren vorüber zog. Und war doch keine Welt für sich. Aus Duft und Farbe und aus Ton, aus Sprache unverletzt und echt, wie es sie später nicht mehr gab, war da ein Schwingen in der Luft, in dem Vergangenes dem Jetzt unweigerlich verbunden war.

Die Straßenbahn fährt heut nicht mehr. Das Herz der Stadt ist renoviert und schlägt im gleichen langweiligen Takt wie überall auf dieser Welt. Fußgängerzone im Einheitsschnitt.

Und was das Kind betrifft mit seinem Glauben, das gibt es auch schon lang nicht mehr.



/c/ monika kafka, 05/13

Dienstag, 7. Mai 2013

Tagebuchtage





... oder über den Zusammenhang zwischen einem Film, einem Buch, einer Skulptur, einem ungeschriebenen Text und Tagespolitik

 
Der Mascha Kaléko Abend, an dem sie aus dem Werk der großen Lyrikerin vortrug, liegt schon längere Zeit zurück.
 
Noch länger ist es her, dass ich Maria Schraders Regiedebüt, die Verfilmung des Romans „Liebesleben“ von Zeruya Shalev, im Kino gesehen habe.
 
Und seit gut über einem Jahrzehnt beschäftigt mich die Geschichte von „Aimée und Jaguar“, in der ich der Schauspielerin zum ersten Mal begegnet bin.

Es waren stets einschneidende Erlebnisse, die Spuren hinterlassen haben, die weit über das Normale hinausgingen.

Umso verwunderlicher für mich, dass wiederum einiges an Zeit vergehen musste, bevor ich aufgrund meiner Recherchen über diese Künstlerin auf einen Film stieß, in dem sie erneut eine tragende Rolle spielt. 

Freitag.
Es ist schon ziemlich spät.

Dennoch beschließe ich, trotz des folgenden langen Arbeitstages und einer Laune folgend, wie ich meine, den Film „Rosenstraße“ anzusehen.  

Es war zu erwarten und überfällt mich dennoch wieder völlig unvorbereitet.
Das ganze Grauen einer Zeit, festgemacht an einem Einzelschicksal. Subtil. Ohne erhobenen Zeigefinger. Emotionen in Bildern und Sprache transportiert– einer so oft pervertierten Sprache, die dennoch rettend und heilend wirken kann. Selbst wenn es Jahrzehnte dafür bedarf.
Kann man je darauf vorbereitet sein?

Samstag.
Business as usual.

In der Buchhandlung ist es ungewöhnlich ruhig für einen Wochenendtag.
Zeit also, gründlich aufzuräumen, die Bücher wieder in ein System zu bringen, das zumindest uns Buchhändlern einsichtig erscheint.

Ein einzelnes Exemplar eines Buches erregt meine Aufmerksamkeit. Nie zuvor ist es mir aufgefallen, hätte mich ein Kunde danach gefragt, ich hätte erst recherchieren müssen. Ein Blick auf Cover und knappen Klappentext und ich weiß, wo es einzusortieren ist.

Auf dem Weg zum NS Regal schlage ich es auf, lese ein paar Sätze. Nein, denke ich, heute ist nicht der Tag für solch eine Lektüre.
Und mache dennoch kehrt. Lege das Buch an mein Info.
„Der letzte Jude von Treblinka“.
Draußen scheint die Sonne, es wird endlich Frühling in der Stadt, die Zeit der Düsternis und Kälte ist vorbei.
Am Abend hab ich das Buch ausgelesen. Trotz widriger Umstände. Trotz Sonnenschein.
Die Antwort auf die Frage eines Kollegen, wie es denn so sei, das Buch, ob auszuhalten, fällt mager aus: wir müssten es ja nur lesen. Sollten wir selbst dafür nicht stark genug sein?  

Sonntag.
Der Geburtstag meiner Mutter.

Nach dem Besuch auf dem Friedhof fahre ich zur Blutenburg.
Wieder scheint die Sonne, mein eingetrübtes Gemüt wärmt auf. Zwischen blühenden Bäumen und Sonntagsgästen beobachte ich einen Schwan, der selbstvergessen aufwändig Morgentoilette betreibt. Die Kamera ist gezückt. Und ich bin bemüht, das von Vater Gelernte umzusetzen. Den Blick wach zu halten für den Augenblick.
Unter silbrigen Birken schimmert es dunkel. Und zieht mich magisch an.

Ich seh die Rosenstraße und Treblinka und einen Ort im fernen Russland, der mir den Großvater genommen hat. Den Endlostreck einer Geschichte, die ihre Wurzeln immer noch nicht ganz beseitigt hat. Im grauen Kleid der Angst und entblößter Würde ziehen sie jahrzehntelang auf diesem Weg vorbei – ins ungewiss Gewisse. Vorbei an Frühling und Gesang, an Sommerhungrigen und grünen Wiesen, an Würm und Schwan und Kameras, die zweifelsohne noch vereinzelt blitzen.  

Montag. Morgen.
Blick in die Zeitung.

Auftakt im NSU- Mordprozess.
München. Nymphenburger Straße, 16. 

Ich glaube nicht an den Zufall, schrieb schon Paul Claudel …
 
 
 
 
/c/ bild und text monika kafka, 2013