schluesselworte

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abgelegt und fortgegangen (c) Dieter Vandory
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Freitag, 16. August 2013

Faschingssause oder: Dirndl to go






Noch gibt er sich zuversichtlich, der Sommer, beinahe stolz trägt er sein duftiges lichtes Gewand. Und kann doch nicht darüber hinwegtäuschen, dass es bereits das letzte Hemd ist, das er angezogen hat. Dünn flirren am Morgen schon die ersten Nebelschleier über der schwer atmenden Stadt, das Sonnenauge wirkt selbst um die Mittagszeit müde und bemüht, die Temperaturen auf Touren zu bringen.
In den Schaufenstern der Fußgängerzone indes hat der Herbst längst Einzug gehalten und mit ihm der Auftakt zur größten Faschingssause der Welt. 

Ich kann mal wieder gar nicht glauben, was meine Augen sehen. Sehen müssen.
Daher beschließe ich, eines dieser Geschäfte zu betreten, in denen das sogenannte must have für zwei Wochen Dauerparty angeboten wird. Der freundlichen Dame mit Dauerlächeln, die mich sofort in Empfang nimmt, kaum dass ich die Schwelle übertreten habe, trage ich ohne Umschweife meinen Wunsch vor. Selbstverständlich gäbe es eine große Auswahl an Dirndln, sagt sie, immer noch dauerlächelnd, und macht eine ausschweifende Handbewegung in Richtung Damenabteilung, die, so fügt sie hinzu, jetzt vorsichtshalber ins Erdgeschoss verlegt worden sei. So könne Frau gleich zugreifen, nicht wahr, ohne sich erst in den ersten Stock bemühen zu müssen.

Sie habe mich wohl missverstanden, entgegne ich freundlich, ich wünsche keine Faschingsverkleidung sondern ein Dirndl.
Das Dauerlächeln erstarrt augenblicklich zur Fratze, aus dem es sich durch leises Hüsteln und Räuspern zu befreien sucht. Ich beschließe, etwas nachzuhelfen und füge hinzu, dass ich etwas Traditionelles Echtes haben möchte. Nix schulterfrei und Plastikstoff in kracherten Farben und grad mal schambedeckend. Aufmunternd lächle ich sie jetzt an. So etwas wird dieser renommierte Laden doch wohl zu bieten haben.

Ihre letzten Sätze erreichen mich gerad noch beim Ausgang. Sie waren wenig freundlich und auch sicher nicht mehr gelächelt.
Ich erspare mir und anderen, beinah dauerlächelnden Verkäuferinnen weitere Qual.

Auf dem Heimweg fällt mir mein Kollege ein, ein waschechter Münchner. Er trägt das ganze Jahr über nichts anderes als Haferlschuh, handgearbeitet und nicht tot zu kriegen, schwere Leinenhemden ohne Schnörkeldruck im Landhausstil, dafür mit echten Hirschhornknöpfen, vereinzelt mit dezenter Stickerei, und handgestrickte grobe Janker.
Das ganze Jahr über? Nicht ganz.

Es gibt da eine Ausnahme – und das sind die zwei Wochen, in denen sich auch meine Stadt im Ausnahmezustand befindet und im Karneval der Kitschigkeiten den letzten Rest an Würde mit begräbt.

Recht hat er, mein Spezl, denke ich und plane, zum Einkaufen hinaus aufs Land zu fahren – muss ja nicht gleich bis Chiemsee sein. Mein neues Dirndl werd ich dann mit Freude tragen – zur Kirchweihdult, Ende Oktober.
 
 
 
/c/ bild und text: monika kafka, 08/13

Samstag, 27. Juli 2013

In Murnau





Es hätte das Griesbräu sein sollen am Oberen Markt. Die Zimmer waren bestellt, die Anreise über München geplant. Drei Tage im winterlichen Blauen Land, Schlittenfahrt inklusive. Doch dazu kam es nicht. So wie es davor schon nicht dazu gekommen war, an keinem anderen Ort, und auch niemals mehr kommen würde. Im getanzten Ensemble der Jahre, stellte sie plötzlich fest, gab es selten ein Pas de Deux. Bestimmend war der Contra, die von außen festgelegte Folge. Zwei Schritte vor, einen zurück und am Ende Warten.

Die Sequenzen wiederholten sich. Der Tanz wurde dadurch nicht besser. Die Hoffnung aber blieb, im Knochenkleid bestehen bis zum letzten Paukenschlag. 

Sie seufzte. Legte den Blick noch einmal aufs steinverputzte Antlitz des Hotels, aus dessen buntgeschmückten Fensterreihen gläsernes Schweigen fiel. Schlenderte schließlich die Marktstraße hinab, die an diesem Sommertag von Touristen überquoll. Sommerfrischler.

Sie lächelte, als sie sich an dieses altmodische Wort erinnerte, das Kandinsky noch benutzte, was nicht einer gewissen Ironie entbehrte. Dass er im Gegensatz zu ihnen bleiben konnte, war einem Zufall zuzuschreiben. Und dem Geld einer Frau. Bezahlt hatte sie. Selbst als das helle Blau der Flöte* längst geborsten war, zahlte sie. Weiter und immer weiter.
Mit gebitterten Stunden aus jahrelangem Warten. Zwei Schritte vor, einen zurück. Gedemütigt, am Ende. Lächerlich. 

Der heiße Tag zog die Sommerfrischler in die Biergärten und kleinen Cafés. In der Kottmüllerallee war es daher ungewöhnlich still. Nur das Rauschen der Bäume im leichten Wind legte sich wie ein Versprechen auf den glühenden Asphalt. Als sie das Tor öffnete, wehte ihr der Duft des blühenden Gartens entgegen. Sie setzte sich auf die Bank, lehnte den Rücken ans Russenhaus. In der Ferne waberte die Luft um den Kirchturm, hell. Das schwarze Band der Berge begrenzte ihren Blick. Diese Aussicht also hätten sie geteilt, dachte sie. 

Sie atmete Zinnoberrot und Blau, zwei Farben, die sich nicht leicht mischen lassen. Wenn es aber gelungen ist, so entsteht grau, eine Möglichkeit zum Übergang, die sozusagen versteinert ist. Ein Symbol der vollständigen Gleichgültigkeit*. 

Bald wird es gelungen sein, flüsterte sie.



* Zitate: Kandinsky/Münter



/c/ bild und text: monika kafka, 2013

Freitag, 12. Juli 2013

Selbstverständlich?


Der Tag klingt im Bouquet eines Württembergers aus. Lieblich senkt sich die Nacht über die ausdampfende Sommerstadt. Eingebettet in den Duft von Lavendel und Petunien wiegen sich die Gedanken ein. Kein Geräusch stört die nächtliche Zwiesprache mit mir selbst auf dem Balkon der Träume.

Ich habe heute etwas getan, wofür ich vor zweiunddreißig Jahren, in einem anderen Leben, das ich auch nach so langer Zeit nicht abstreifen kann, im Knast gelandet wäre. Verhört, gedemütigt … Schlimmeres nicht ausgeschlossen.
 
Dass ich heute auf die Straße gehen durfte, um meinen Unmut zu äußern, ein Zeichen zu setzen gegen drohendes Unrecht und gleichzeitig meine Solidarität zu bekunden mit denjenigen, die für mich etwas tun, die ihre Zeit und ihren Kopf hinhalten, damit Recht Recht bleibt und das alles ohne Gefahr zu laufen, im Knast zu landen, das ist nicht selbstverständlich.

Es ist ein von Frauen und Männern erkämpftes Recht, das Eingang gefunden hat in unsere Demokratie. Selbstverständlich ist das also nicht. Und ich habe heute erfahren dürfen, wie es sich anfühlt, Teil einer Geschichte zu sein, die sich täglich neu fortschreibt.

Ein gutes Gefühl in der einbrechenden Dunkelheit – ausnahmsweise mal nicht metaphorisch gemeint.
 
 
 
/c/ monika Kafka, 07/13

Samstag, 29. Juni 2013

 
 
 
 
am abend eines langen tages leg ich mich bei dir ab.
du wirst zusammenfügen, was das laute zertrennt, das leise
 gänzlich verstummen ließ, du wirst glätten und halten.
 
mein kopf ist leer, durch die herzkammern zieht ein einsamer wind.
das fühlen fällt schwer, das auge schmerzt und draußen
 prasselt schon wieder der regen.
im lockigen atem dreht sich ein gedicht, es verspricht mehr
 als es spricht.

die geduld ist dünn geworden.
so wie der abend, den ich dir zu füßen lege und damit endlos
müde - mich.
lies mir die nachtblumen eines nahenden morgen.

leg mich zu den rosen.
 
 
 
 
 
/c/ bild und text: monika kafka, 06/13
 

Montag, 20. Mai 2013

Kafka


An ihm kommt wohl keiner vorbei, der sich
ernsthaft mit Literatur und Schreiben
beschäftigt.
Doch obwohl ich viele seiner Werke kannte,
bevor ernsthafte Professoren an diversen
Universitäten sie mir ernsthaft zu erklären
versuchten, gehörte er nie zu meinen
Lieblingsautoren. 
Dass ich seit über zwanzig Jahren seinen Namen
trage, was kein leichtes Erbe ist, hat daran nichts geändert.  

Ich erinnere mich noch lebhaft an die Beamtin
und ihr stolzes Lächeln, als sie meinen Namen
aufschreiben sollte. „Wie der Schriftsteller?“,
fragte sie und schrieb ihn dann prompt
mit zwei f.

Oder an den frühreifen Schüler einer achten
Klasse, der sich die Frage an die angehende
Lehrerin nicht verkneifen konnte, ob sie denn
auch in einem Schloss wohnen würde oder ob
ihr schon jemals der Prozess gemacht worden
sei.
Mit meiner plötzlichen Verwandlung zur
Respektsperson hatte er nicht gerechnet.

Dennoch hatte bereits meine allererste
Seminararbeit mit ihm, dem Großen, zu tun.
Vielmehr mit seinen Kurzprosatexten. Die
Fabeln, Parabeln und Gleichnisse begleiten
mich seither – und das heißt beinah mein
ganzes Erwachsenenleben lang – und haben
dabei nichts an Faszination verloren. Ob ich sie
je verstanden habe?
Ich weiß es nicht. Aber macht nicht genau das
einen Teil der Faszination aus?  

Unter allen kleinen Texten ist es vor allem einer,
den ich ganz besonders liebe und deshalb
auswendig kann.
Die Kleine Fabel.
Verstanden hab ich ihn erst heute.
Dass ich dabei seit langer Zeit wieder an Jannis
denke, mag Zufall sein.





/c/ monika kafka, 05/13

Freitag, 17. Mai 2013

Hermannstädter Notizen



Die Elektrische fuhr damals die Heltauer Gasse entlang. Das heißt vom Friedhof hin zum Bahnhof ging es mitten durch das Herz der Stadt. Vorbei am Floasch mit seinem Sodawasser, vorbei am Haus von Iduka, wo selbst das unmöglichste Kleid über Nacht verzaubert ward und dann wie angegossen passte, vorbei an Juwelier und Galerie, Konditorei und Kloster, in dem die Großmutter einst Schulkind war.
   
Seltsam verknüpft war so die Abfahrt mit der Ankunft, verbunden miteinander Ewigkeit und Augenblick und keiner wird wohl je darüber nachgesonnen haben. Am allerwenigsten das Kind, das noch den linksseitigen Schmerz nicht kennt und glaubt, dass Tod nichts anderes ist als nur ein langer Schlaf.


Es ist wieder Sommer. Einer, wie es ihn nie mehr geben wird. Die Luft vibriert zwischen den Drähten. Durchsetzt von Tubenrosenduft und Linden gleißt das Licht die Augen wund. Und aus marodem Asphalt atmen die Jahrhunderte, tief und schwer, wie die Schürzen alter Frauen am Kleinen Markt, die hier den Sommer ihrer Gärten für wenig Geld verkaufen.

Mit einem Sträußchen Löwenmaul, Vergissmeinnicht und Phlox und dem gefüllten Korb von Tante Erna geht es auf die Promenade, wo das Kind noch schaukeln darf. Himmel und Erde nur einen Schwung entfernt und manchmal kaum zu trennen. Und hängen bleibt ein Lachen, so hell wie die erwachten Blätter der schwarzknorrigen Bäume.

Doch niemals war die Freude heller als im Gebimmel der Elektrischen, das rot durch diese Gasse flog. Wenn dieser kleine Schritt die Treppen hoch ein Innen offenbarte, das scheinbar unbeteiligt am Äußeren vorüber zog. Und war doch keine Welt für sich. Aus Duft und Farbe und aus Ton, aus Sprache unverletzt und echt, wie es sie später nicht mehr gab, war da ein Schwingen in der Luft, in dem Vergangenes dem Jetzt unweigerlich verbunden war.

Die Straßenbahn fährt heut nicht mehr. Das Herz der Stadt ist renoviert und schlägt im gleichen langweiligen Takt wie überall auf dieser Welt. Fußgängerzone im Einheitsschnitt.

Und was das Kind betrifft mit seinem Glauben, das gibt es auch schon lang nicht mehr.



/c/ monika kafka, 05/13

Dienstag, 7. Mai 2013

Tagebuchtage





... oder über den Zusammenhang zwischen einem Film, einem Buch, einer Skulptur, einem ungeschriebenen Text und Tagespolitik

 
Der Mascha Kaléko Abend, an dem sie aus dem Werk der großen Lyrikerin vortrug, liegt schon längere Zeit zurück.
 
Noch länger ist es her, dass ich Maria Schraders Regiedebüt, die Verfilmung des Romans „Liebesleben“ von Zeruya Shalev, im Kino gesehen habe.
 
Und seit gut über einem Jahrzehnt beschäftigt mich die Geschichte von „Aimée und Jaguar“, in der ich der Schauspielerin zum ersten Mal begegnet bin.

Es waren stets einschneidende Erlebnisse, die Spuren hinterlassen haben, die weit über das Normale hinausgingen.

Umso verwunderlicher für mich, dass wiederum einiges an Zeit vergehen musste, bevor ich aufgrund meiner Recherchen über diese Künstlerin auf einen Film stieß, in dem sie erneut eine tragende Rolle spielt. 

Freitag.
Es ist schon ziemlich spät.

Dennoch beschließe ich, trotz des folgenden langen Arbeitstages und einer Laune folgend, wie ich meine, den Film „Rosenstraße“ anzusehen.  

Es war zu erwarten und überfällt mich dennoch wieder völlig unvorbereitet.
Das ganze Grauen einer Zeit, festgemacht an einem Einzelschicksal. Subtil. Ohne erhobenen Zeigefinger. Emotionen in Bildern und Sprache transportiert– einer so oft pervertierten Sprache, die dennoch rettend und heilend wirken kann. Selbst wenn es Jahrzehnte dafür bedarf.
Kann man je darauf vorbereitet sein?

Samstag.
Business as usual.

In der Buchhandlung ist es ungewöhnlich ruhig für einen Wochenendtag.
Zeit also, gründlich aufzuräumen, die Bücher wieder in ein System zu bringen, das zumindest uns Buchhändlern einsichtig erscheint.

Ein einzelnes Exemplar eines Buches erregt meine Aufmerksamkeit. Nie zuvor ist es mir aufgefallen, hätte mich ein Kunde danach gefragt, ich hätte erst recherchieren müssen. Ein Blick auf Cover und knappen Klappentext und ich weiß, wo es einzusortieren ist.

Auf dem Weg zum NS Regal schlage ich es auf, lese ein paar Sätze. Nein, denke ich, heute ist nicht der Tag für solch eine Lektüre.
Und mache dennoch kehrt. Lege das Buch an mein Info.
„Der letzte Jude von Treblinka“.
Draußen scheint die Sonne, es wird endlich Frühling in der Stadt, die Zeit der Düsternis und Kälte ist vorbei.
Am Abend hab ich das Buch ausgelesen. Trotz widriger Umstände. Trotz Sonnenschein.
Die Antwort auf die Frage eines Kollegen, wie es denn so sei, das Buch, ob auszuhalten, fällt mager aus: wir müssten es ja nur lesen. Sollten wir selbst dafür nicht stark genug sein?  

Sonntag.
Der Geburtstag meiner Mutter.

Nach dem Besuch auf dem Friedhof fahre ich zur Blutenburg.
Wieder scheint die Sonne, mein eingetrübtes Gemüt wärmt auf. Zwischen blühenden Bäumen und Sonntagsgästen beobachte ich einen Schwan, der selbstvergessen aufwändig Morgentoilette betreibt. Die Kamera ist gezückt. Und ich bin bemüht, das von Vater Gelernte umzusetzen. Den Blick wach zu halten für den Augenblick.
Unter silbrigen Birken schimmert es dunkel. Und zieht mich magisch an.

Ich seh die Rosenstraße und Treblinka und einen Ort im fernen Russland, der mir den Großvater genommen hat. Den Endlostreck einer Geschichte, die ihre Wurzeln immer noch nicht ganz beseitigt hat. Im grauen Kleid der Angst und entblößter Würde ziehen sie jahrzehntelang auf diesem Weg vorbei – ins ungewiss Gewisse. Vorbei an Frühling und Gesang, an Sommerhungrigen und grünen Wiesen, an Würm und Schwan und Kameras, die zweifelsohne noch vereinzelt blitzen.  

Montag. Morgen.
Blick in die Zeitung.

Auftakt im NSU- Mordprozess.
München. Nymphenburger Straße, 16. 

Ich glaube nicht an den Zufall, schrieb schon Paul Claudel …
 
 
 
 
/c/ bild und text monika kafka, 2013

Montag, 15. April 2013

gegen die fahrtrichtung

 
 
 
 
ein bahnsteig voll zeit.
oft zu viel. meist nicht genug.
verlegenheitsworte. eine linkische umarmung. und ganz viel augen_blick.
  
wind kommt auf. die schienen vibrieren. es zischt und schluckt. mich.
 
klimatisierte stille. hin und wieder ein fetzen.
gespräch. handyklingeln. flüstern.
ich versinke in meinem sitz. rolle mich ein. so gut es eben geht. abwehrhaltung. gegen das toben im inneren. zwecklos.
 
was einem so entgegenfliegt auf reisen.
mir fliegt es rückwärts. entschwindet.
wälder und wiesen. ein unentschiedener himmel. siedlungsgrau. felder.
und dein entscheidendes wort. nachtgeboren und tagerprobt. bleibt. hängt tief wie die wolken. 
bauchgesteuertes denkwort, ich liebe dich. und denke dir nach. 
hochgeschwindigkeitstaumel. in lähmender einsamkeit. tränen.
dabei war es eben noch. dein lächeln. lockig und leicht.
und tapfer.
schlägt sich die zeit gegen die brennende brust. 
 
ab frankfurt dann richtungswechsel.
die tatsachen fest im auge komme ich an.
mit schwerem gepäck.
 
 
 
 
/c/ bild und text: monika kafka, 04/13


Dank an Michael Hermann /c/ für das Antwortgedicht:


Manchmal
hör ich dieses Pfeifen

nachts
wenn Dunkel
über Träumen 

aus längst vergangenen
Tagen wacht 

Fauchende Nebel
schweben grau
unter spärlich
schimmernden Laternen 

Stumm
schreien Gefühle

Worte
die nur
der schwarze Himmel hört 

Wangen
schmelzen langsam 

und leise
im Fluss der Sehnsucht 

in blauen Augen 

glänzt
der Orient Express
 
 

Sonntag, 27. Januar 2013

Die alte Stube


Die Möbel waren handgeschnitzt, das Geschirr aus Porzellan. Töpfe und Pfannen glänzten kupfern, der kleine Herd in weißem Email. Die Fenster hatten Vorhänge und die Stehlampe einen grünen Plastikschirm.
Täglich fegte die Mutter die Stube, kochte für Sonja Kartoffelsuppe und flocht ihre Haare zu Zöpfen. Wenn sie weg ging, musste Sonja immer brav auf sie warten.
Manchmal spielte die Mutter Umzug mit ihr. Dann wurden Möbel umgestellt, neue Teppiche ausgelegt und Sonja durfte ausnahmsweise mal auf dem Boden schlafen.
Es war eine glückliche Zeit.                          
Bald jedoch zog die Mutter ihren Jugendträumen hinterher.
Seither verstaubt die Puppenstube am Dachboden, Winzererstraße 4.




/c/ Monika Kafka, 01/12

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Eine pointierte Geschichte, die aus exakt 100 Wörtern besteht, wobei die Überschrift nicht mitgezählt wird, nennt man drabble.






Freitag, 30. November 2012

Schwerer Gang



"Welch ein Kontrast, finden Sie nicht auch?“

Überrascht, beinah erschrocken blickte sich Scarlett um. Hatte der Mann, der plötzlich hinter ihr stand, tatsächlich zu ihr gesprochen?

In den Räumen der Pinakothek befanden sich um diese Uhrzeit nur wenige Besucher. Aus diesem Grund verbrachte sie, nachdem sie rasch eine Kleinigkeit gegessen hatte, ihre Mittagspausen gerne hier. Genoss die Ruhe in den klimatisierten Räumen. Ließ sich von Saal zu Saal treiben. Oder machte es sich auf einem der Ledersitze bequem. Manchmal vertieft in den Anblick eines Gemäldes. Hin und wieder auch schon in eine anstehende Verhandlung, die sie als Leiterin der Bank nebenan erwartete.

„Wie meinen Sie das denn?“, fragte sie und musterte gleichzeitig ihren ungebetenen Gesprächspartner. Groß. Dunkle Haare. Wache Augen. Gut gekleidet.

„Ich meine, wir stehen hier in einem angenehmen lichtdurchfluteten Raum, auf tadellos gebohnertem Parkett, sind satt und müssen nicht frieren. Und starren auf dieses finstere Bild aus einer anderen Zeit.“

Scarlett fühlte sich mit einem Mal wie ertappt, ohne dass sie genau hätte sagen können, wobei. Und wodurch. Sie merkte nur, dass ihre Füße in den Highheels plötzlich schmerzten, das Prada Kostüm war ihr unangenehm. Sie schwitzte. Zog aus ihrer eleganten Handtasche ein Taschentuch, mit dem sie sich die Stirn abtupfte.

„Und dennoch hat sich nichts wirklich verändert“, fuhr der Mann neben ihr fort. Wandte den Blick von ihr ab und wieder Uhdes Bild zu.

„Also, hören Sie mal, wir leben im 21. Jahrhundert. Was sagen Sie denn da? Natürlich hat sich was verändert, oder laufen Sie immer noch durch die Dunkelheit auf unbefestigten schlammigen Wegen?“, entgegnete sie mit hochmütigem Blick. „Tragen Ihre Habseligkeiten auf dem Rücken, weil Sie keine Arbeit und deshalb keine Bleibe haben und stützen zudem Ihre Frau, die sich fürs Kinderkriegen entschlossen hat, statt etwas zu lernen. Jeder wie er will, nicht wahr.“

Warum nur dieser aggressive Unterton in meiner Stimme, wunderte sie sich. Und ärgerte sich insgeheim darüber, kam er ihr doch wie ein halbes Eingeständnis vor.

„Erlauben Sie“, sagte der Mann und seine Stimme klang weich. Zog mit feingliedrigen Fingern aus seiner Geldbörse eine Visitenkarte und überreichte sie ihr.

„Abdul Farad, Architekt. Sollten Sie zufällig eine Wohnung oder ein Haus zu vermieten haben und sollten Sie gewillt sein, das auch an einen derzeit arbeitslosen Vater von drei Kindern zu tun, so würden meine Frau und ich uns sehr glücklich schätzen. Schlammige Wege und Dunkelheit“, sagte er mit einem letzten Blick auf Uhdes Gemälde, „müssten heute wahrlich nicht mehr sein“.
Nickte ihr freundlich zu und verließ den Raum.




http://www.pinakothek.de/fritz-von-uhde/schwerer-gang


/c/ monika kafka, 11/12

Samstag, 3. November 2012

Kein Ort. Nirgends.*

/c/ dieter vandory, weniger ist meer, 10/12












 






Du sprichst zwar unsere Sprache, akzent- und
fehlerfrei, doch zu uns gehörst du nicht, sagte
die Mehrheit.

Du sprichst die ungeliebte fremde Sprache viel zu gut und nicht unseren Dialekt. Du hast dich arrangiert mit denen, bist wohl eine gar der ihren. Zu uns jedenfalls gehörst du nicht, sagte die Minderheit.

Für eine Rumänin sprechen Sie aber sehr gut Deutsch, sagte später die neue Minderheit.

Sie sind keine Französin, keine Italienerin, fragte die neue Mehrheit. Unglaublich, wie gut Sie unsere Sprachen doch beherrschen.

Andere Heimat gesucht.
In der Poesie.
Ist es auch nicht anders.




/c/ monika kafka, 11/12


*Christa Wolf